Experten-Tipps

KRISE – Die Kunst die richtigen Interventionen souverän zu entscheiden

Dieser Artikel wurde am 13.05.2020 verfasst von
Annabel Müller

Die Krise ist in aller Munde und mit ihr kursieren so einige seltsame Aussagen. Erst neulich habe ich jemanden sagen hören: „Verpasse niemals eine gute Krise.“ Winston Churchill soll das gesagt haben. Das Zitat, von dem manche behaupten es sei gar nicht von Churchill, lautet: "Never let a good crisis go to waste.“ Die beiden kurzen Worte „to waste“ sind bei dem Zitierenden scheinbar unter gegangen. Hilary Clinton hat 2009 von „never waste a good crisis“ gesprochen, was Guido Westerwelle am 2.7.2009 zitiert haben soll mit „never miss a good crisis“. Der Teufel steckt im Detail.


Im Online-Lexikon Leo wird diese Aussage deshalb diskutiert, weil Herr Westerwelle Hilary Clinton zwar falsch zitiert, aber richtig interpretiert hat. „Eine Krise ist immer schlimm. Das einzig Gute an dieser Krise ist, dass uns der Problemdruck wenigstens dazu zwingen müsste, jetzt die strukturellen Veränderungen durchzusetzen, von denen wir in Wahrheit seit vielen Jahren überzeugt sind, dass sie angepackt werden müssen.“ Ich bin kein Politiker. Ich bin psychologische Beraterin, Business-Speaker und Ultratrail Läuferin. Als solche gilt meine Kompetenz der Zielerreichung. Vermutlich würde ich deshalb den Konjunktiv der obigen Ansprache auf das letzte Wort verwenden. Und ganz sicher würde ich jede Krise meiden, sofern mir dies möglich ist.


Denn selbst wenn in jeder Krise eine Chance steckt, so kann ich als Sportlerin, die bereits dramatische Krisen durchgemacht hat, sagen, die Krise ist in Summe vor allem eines: „eine Gefahr“. Eine Zeit der Gefährdung, so steht es online im Duden, der zum Begriff „Krise“ typische Wortverbindungen, also in diesem Zusammenhang häufig verwendete Verben und Adjektive, grafisch darstellt. Darunter weder das Wort verschwenden noch vermissen.


Was Sie neben „stecken“, „stürzen“ und „schlittern“ dort finden können, ist das Wort „meistern“. Die Krise meistern. Wenigstens ein Hinweis auf einen möglicherweise positiven Ausgang. Auf die Chance, die sich im chinesischen Zeichen für Krise versteckt. Übrigens nicht zu 50%, wie teils behauptet wird, sondern, sofern man Sprache überhaupt mathematisch werten kann, mit 25 %. Das ist der Anteil des chinesischen Schriftzeichens für Chance in dem Wort Krise. Ob Gefahr oder Chance, die Krise ist bereits da und es gilt nun das Beste daraus zu machen. So hat Rahm Emanuel, Stabschef unter US Präsident Obama 2009, Churchills Zitat ergänzt und minimal abgewandelt. Vielleicht, um kritischen Stimmen wie der meinen zuvorzukommen. Denn was ist eigentlich eine „gute Krise“? Er war sich der Ernsthaftigkeit einer Krise bewusst: „You never let a seroius crisis go to waste. And what I mean by that it´s an opportunity to do things you think you could not do before.“ Das wiederum erinnert mich stark an den Sommer-Slogan von Mammut und mein Lieblings-T-Shirt mit der Aufschrift: „Do what you can´t“. "Yes we can" oder wie Frau Merkel zu sagen pflegt: „Wir schaffen das.“


Nur wer genau ist "wir"? Bei einem Ultratrail Rennen, ein Geländelauf über 100, 200 oder noch mehr Kilometer kommen in der Regel nie mehr als 75 % der Läufer ins Ziel – meist weniger. Wer in einem solchen Rennen seine persönliche Krise, in Form einer „massiven, problematischen Funktionsstörung“ (Zitat Wikipedia) erlebt, weiß, dass die Wahrscheinlichkeit das Ziel zu erreichen, damit exponentiell absinkt. Wenn kritische Einflüsse, wie extreme Wetterbedingungen, ein Rennen stören, verringert sich nicht nur die Zahl der erfolgreichen Finisher, also derer die das Ziel erreichen. Es gibt mehr Verletzungen und die Läufer brauchen durchschnittlich länger, um sich von den Strapazen des Rennens zu erholen. Ob Corona-Krise, Klimakrise oder Wirtschaftskrise. Die Krise kostet Ressourcen und bringt uns kräftemäßig an unsere Grenzen. Viele bemerken das derzeit. Und eine Krise lockt die nächste an. Die wirtschaftliche führt zur persönlichen und die zur gesundheitlichen oder umgekehrt. Auch das ist ein Gesetz der Krise.


Wieso gibt es dennoch so viele Menschen, die die Krise in erster Linie als Chance proklamieren? Auffällig ist, dass diese Menschen oftmals selbst noch keine wirklich ernsthafte Krise erlebt haben oder zu den so genannten Krisengewinnern gehören. Alternativ ihr Geld damit verdienen, dass andere Menschen ihnen diese Worte glauben, so dass vor allem sie selbst nachfolgend als Gewinner hervorgehen. Da kommt zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung noch die sich selbst erfüllende Steuerung. Ich darf sowas sagen, denn ich war selbst lange der Meinung, „die Krise macht uns stärker.“ Bis ich selbst eine massive Krise erlebte. Bei Statements wie „verpasse keine gute Krise…denn es könnte eine Chance sein“- zugegeben auf einer Seite gefunden, die „gehdirausdemweg.com“ heißt – muss ich an die norwegische Läuferin denken, die beim Südtirol Ultra Skyrace 2019 vom Blitz getötet wurde. Sie und alle Teilnehmer, die noch am Berg unterwegs waren, als das Gewitter heran rollte, hätten auf die Krisenerfahrung sicherlich gerne verzichtet.


Doch die Krise fragt nicht, ob sie erwünscht ist. Sie ist einfach da. Ungefragt und meist unangekündigt. Der Leitsatz, der mir nicht nur bei meinen diversen Ultratrail Rennen ein kluger Rat war, lautet: „Kämpfe nicht mit dem Weg. Nutze, was er Dir gibt“. Ist es das was Churchill meinte, dass man die Krise nutzen soll, wenn sie bereits da ist? Denn wie oben erwähnt gibt es in nahezu jeder Krise Gewinner. Also Menschen, Unternehmen und Organisationen, die stärker abschneiden, als die mit ihnen konkurrierenden. Das ist es was manche stärker aus der Krise hervorgehen lässt. Wer die Krise erfolgreich überwunden hat, der gewinnt zudem mentale Stärke. Das Wissen solche schwierigen Situationen bewältigen zu können, hilft bei zukünftigen Herausforderungen. Doch wo Gewinner sind, gibt es auch Verlierer. Das gilt umso mehr im Rahmen einer allgemeinen Verschlechterung. Deshalb ist es so entscheidend diese Krise nun bestmöglich zu meistern.


Nachfolgend 10 Tipps – vom Ultratrail zum Unternehmen:


  1. Meiden Sie die Krise sofern Sie die Wahl haben.
  2. Nutzen Sie das, was ich optimistische Paranoia nenne: Seien Sie stets auf das Schlimmste vorbereitet und rechnen dennoch immer mit dem Besten.
  3. Fokussieren Sie sich auf ihre Stärken. Im Online-Kurs Mindset Trail erzähle ich, warum Schwächen ausmerzen oftmals zu größerem Erfolg führt, als Stärken zu stärken. Beides kostet Ressourcen. Deshalb konzentrieren Sie sich im ersten Schritt, am besten auf das, was Sie bereits gut können.
  4. Krisen sind unsichere Zeiten. Wenn Sie in der Lage sind zu investieren, tun Sie es dort, wo es ihnen unter allen Umständen etwas nützt. Investieren Sie beispielsweise in Digitalisierung, Solidarität zu ihren Mitarbeitern/innen oder das Erneuern veralteter Strukturen.
  5. Stellen Sie clevere Fragen: Was kostet die Maßnahme? Und was ist der Preis? Achten Sie auf die Opportunitätskosten: Was kostet es, wenn Sie nicht oder anders entscheiden.
  6. Haben Sie keine Angst vor falschen Entscheidungen. Angst ist ein sehr fehleranfälliger Ratgeber. Mit einer gesunden Mischung aus Respekt und Zuversicht sind Sie besser beraten.
  7. Machen Sie keine halben Sachen. Sie können nicht vorsichtig über einen Abgrund springen. Entscheiden Sie, setzen Sie um, bestimmen Sie ausreichend „Checkpoints“ und wenn nötig entscheiden Sie neu.
  8. Haben Sie keine Bedenken öfter ihre Meinung zu ändern und verurteilen Sie andere Menschen nicht, die öfter ihre Meinung ändern. Die Welt verändert sich und in Krisenzeiten noch schneller als je zuvor. Sich mit ihr zu ändern sollte anerkannt, nicht kritisiert werden.
  9. Seien Sie risikoreich in der Planung und behutsam bei der Umsetzung. Achten Sie auf die Action Bias, nicht immer ist unser (über)aktives Handeln nützlich oder hilfreich. Bleiben und handeln Sie besonnen.
  10. Bleiben Sie dran. Das heißt übrigens nicht, dass Sie niemals eine Schlacht verloren geben. Im Gegenteil. Vergessen Sie auch in der Krise niemals ihr Ziel hinter dem Ziel.
Annabel Müller

2015 habe ich die Königsdistanz des Swiss Irontrail gemeistert – eines der längsten und härtesten Ein-Etappen-Rennen Europas: 201 Kilometer und 11.400 Höhenmeter. Zu Fuß. Ohne Schlaf. Mit minimalster Verpflegung. Bei Temperaturen von + 30° bis – 8° Celsius. Dies verlangte mir einiges ab, physisch un ...